Mal eben zu Fuß fast nach Italien!
Die Alpen AG 2022/2023 ist unterwegs!
Rituale muss man pflegen. Und ein seit 2016 etabliertes Ritual an unserer geschätzten Bildungsanstalt erfordert, dass 16 Schülerinnen und Schüler, zwei Lehrer*innen und zwei (diesmal professionell geschulte) Begleiter*innen die ersten 14 Tage des neuen Schuljahres im Hochgebirge verbringen, auf Hütten übernachten, Gipfel erklimmen, tief in Abgünde schauen, sich mit Schafen und Murmeltieren dutzen und unterwegs interessante Menschen kennenlernen werden.
Wie jedes Jahr wandern wir vom schönen Königssee in Bayern nach Lienz in Osttirol. Also bis kurz vor die italienische Grenze. Angekommen in Lienz, voller nachhaltiger Eindrücke und mächtig Stolz in der Brust, reichte die Energie bisher immer noch, um einfach bis nach Venedig weiterzulaufen. Alleine die Unterrichtsverpflichtung und das Studium verhindern diese doch eigentlich gute Idee, aber das Schuljahr besteht bekanntermaßen nicht nur aus zu Fuß unterwegs sein.
Vorbereitet ist die Truppe. Eine zweitägige Probewanderung ist absolviert, ebenso ein paar kleine Touren, dazu kommt eine Schulung in Outdoor Erste Hilfe, eine Ausrüstungsberatung, eine Einheit zum Thema Kartenlesen und Orientierung, ein bisschen Klettern hier, ein bisschen viel Konditionstraining da... jetzt gehts los und wie jedes Jahr gibt es auf der Homepage wieder einen Live Blog. Alle Zuhausegebliebenen und alle zukünftigen Aspiranten (Klasse 9 u. 10!) auf diese AG können so wieder hautnah miterleben, wie wir uns durchs Gebirge schleichen und eine schönsten und zum Teil einsamsten Gegenden der Alpen zu Fuß erkunden. Dramatische Bilder inbegriffen.
Viel Spaß beim Lesen, Mitfiebern, Mitschwitzen! Wir sehen uns in zwei Wochen und wünschen der Schulgemeinde jetzt schon einen guten Start ins neue Schuljahr!
Wir bedanken uns bei den Sponsoren der Alpenüberquerung 2023
Tag 1 - 05.08.2023: Anreise Berchtesgaden
Deja vu? Jedes Mal stehe ich zu einer Zeit, in der gute und anständige Oberstufenschüler aus der Disco kommen (das heißt jetzt „Club“ oder so…) im Halbtiefschlaf am Bahnhof und warte (bzw. hoffe), dass ein Zug in die Berge kommt. Ich steige bereits in Dortmund in den ICE, der Rest der Truppe macht sich von Wuppertal auf den Weg nach Köln. Der ursprüngliche Zug ab Düsseldorf fährt nicht. Vermutlich fehlt das Gleis, die Lok oder ein Kabel oder so. Die Alpen AG hätte auch in Wuppertal den ICE steigen können, in dem ich sitze. Aber das geht auch nicht. Zugbindung oder so. Erstmal in die Berge zu kommen ist gelegentlich komplizierter als drüber zu laufen. Jedenfalls steigen in Köln alle ein, am Flughafen in Frankfurt steigen alle um, in München steigen wir aus, steigen wieder in einen Regionalzug nach Freilassing und da in eine Bimmelbahn nach Berchtesgaden. Das klappt alles famos und pünktlich. Erste Hürde genommen! Zur Jugendherberge müssen wir ein Stückchen laufen. Morgen gehts dann per Bus zum und mit dem Boot über den Königssee und dann rauf zur schönen, kleinen Wasseralm inkl. Gemüsesuppe. Kleiner Spaziergang zum warm werden. Knapp 600 Höhenmeter, inkl. Ausblick und tiefem Abgrund. Hoffen wir, dass der Blick aus dem Fenster morgen in der Früh schönes Wetter verheißt.
Aber jetzt erstmal ankommen, frisch machen, Abendessen, Lagebesprechung, Gutenachtgeschichte und ab ins Bett. Morgen wird es ernst.
Tag 2 - 06.08.2023: Aufstieg zur Wasseralm
Der Blick aus dem Fenster? Regen. Regen. Und nochmal Regen. Das wird ein interessanter Tag, denn nach der Bootsfahrt über den Königssee und der schönen Wanderung um den Obersee bis zum Röthbachfall gehts über den Röthsteig rauf zur Wasseralm. Bei guten Wetter ist der Röthsteig auch anstrengend, aber gut zu gehen und die Aussicht ist ziemlich spektakulär. Bei Regen jedoch wird der Röthsteig zum Röthsteigwasserfall. Überall plätschert über die Bäche Wasser in die Gore Tex Schuhe. Dann ist alles rutschig, Wasser von oben, von unten, von der Seite, von den Büschen. Aber: tapfere Truppe! Kein Gemecker, man fügt sich und macht das beste draus. Hoch über dem Obersee klart es denn auch ab und auf, man hat einen tollen Blick hinunter ins Tal. Irgendwann ist man oben. Es geht ein bisschen raus, ein bisschen runter, durch dichten Wald und über ob des Wetters reißende Flüsse. Und irgendwann öffnet sich der Dschungel und steht vor der Wasseralm. Ich bin wie üblich der letzte. Die anderen sitzen bereits bei Kaffee und Kuchen, die Klamotten trocknen über dem Gasofen. Wie fein!
Ein paar wagemutige Jungs gehen noch schwimmen (bzw. planschen), aber die Außentemperatur lässt ausgiebiges Kneippen dann doch nicht zu. Abends gibts die berühmte Gemüsesuppe, das eine oder andere Radler, Schorle, Tee und den Rest vom Kuchen. Und dann gehts ab ins Bett. Morgen wirds nochmal sehr feucht, wenns zum Kärlingerhaus geht. Ab Dienstag soll dann die Sonne scheinen.
Tag 3 - 07.08.2023: Kärlingerhaus
Heute haben wir nicht nur teures Regenzeugs dabei, wir ziehen direkt in Plastik los. Es plästert zwar nicht mehr so heftig wie gestern, aber der feine Regen zieht doch souverän in die Klamotten. Hilft nix! Um 9 gehts los Richtung Kärlingerhaus. Große Hütte, aber schön warm und etwas mehr Platz! Der Weg dorthin ist einfacher als gestern (der Clou bei Hüttentouren: man hat einen harten Aufstieg, ist dann aber für die kommenden auf Höhe), aber der Dauerregen der letzten Tage hat die Wege aufgeweicht, sodass man beim Gehen höllisch aufpassen muss, wohin man tritt. Kurze Pause am Halsköpfl. Gute Aussicht, aber es bläst ein ordentlicher Wind. Ich bleibe unten , habe Empfang und erledige „Büroarbeit“. Diese Tour will ja auch unterwegs organisiert werden. Danach gehts runter zum Schwarzensee, den man über wenig stabile Planken passiert. Dann gehts wieder rauf, wieder runter zum Grünsee. Hat man dann die „Himmelsleiter“ hinter sich, stößt man auf den direkten Weg von St. Bartholomä am Königssee zum Kärlingerhaus. Das taucht wie immer urplötzlich auf. Die meisten haben Kuchen und Kaffee bereits auf und haben sich in Form gebracht. Das neue Hüttenteam hat es auf jeden Fall drauf. Das Essen ist hervorragend, der Empfang herzlich. Mara, Ida und Mark testen im Funtensee wie sich 11 Grad Wassertemperatur anfühlen. Ein paar Jungs machen ihnen das nach dem Abendessen nach. Kurz: ein durchschnittlicher Montag. Alle haben gute Laune. Spätestens auf der reizenden Peter-Wichenthaler-Hütte wird das Hüttenleben in Fleisch und Blut übergangen sein. Und morgen soll endlich die Sonne scheinen.
Tag 4 - 08.08.2023 Ingolstädter Hütte
Ah! Nach zwei Tagen Dauerregen endlich Sonnenschein und blauer Himmel! Dazu hat der Allerhöchste die Berge rund um das Steinerne Meer mit Neuschnee versüßt. Das wird ein Wandertag wie aus dem Reiseprospekt. Los gehts nach ausgiebigem Frühstück. Der Weg ins Steinerne Meer ist zunächst steil, ist man aber einmal auf Höhe, gehts nur noch moderat bergauf auf gutem Weg. Und was für einen Aussicht! Die Schönfeldspitze, und das in der Tat an ein Meer erinnerndes Feldkar dominieren die Szene. In der Ferne kann man den Hochkönig erkennen. Die Schüler*innen sind ganz verzückt von der Tierwelt. Murmeltiere, jede Menge Schafe in unterschiedlicher Wollqualität und sogar Gemsen lassen sich blicken. Ich gehe etwas hinterher. Über mir kreisen Krähen. Wohlmöglich wirken ich alleine wie eine mögliche Futterquelle, sollte ich diese Wanderung nicht überleben. Aber auch ich komme irgendwann am Ingolstädter Haus an. Gemütlich, gastfreundliche Wirtsleut, nette Mitwanderer und gutes Essen. Die Hütte scheint doch besser zu gefallen, als die einfache Wasseralm zwei Nächte zuvor. Abends gehts wieder früh ins Bett, auch wenn die Tour morgen auch nicht wirklich anspruchsvoll ist. Übermorgen sind wir dann wieder kurz in Saalfelden in der Zivilisation (W-lan!!!!) und dann gehts in die Wildnis!
Tag 5 - 09.08.2023 - Peter Wiechenthaler Hütte
Zu früh gefreut. Dachten wir gestern noch, dass wir die Regensachen tief in den Rucksack und die Sonnenbrille endgültig aus dem Rucksack packen können… nix da. Der Morgen begrüßt uns nicht nur mit feinem Frühstück, sondern mit Grau in Grau und Regen. Und das so richtig ergiebig. Hilft nix, da muss man jetzt durch. Wir starten in buntem Gore Tex ins Steinerne Meer. Gestern noch nahezu idyllisch, heute irgendwas anderes. Wenigstens ist der Weg zur heutigen Unterkunft vergleichsweise einfach. Steil geht zur Weißbachlscharte rauf, runter ist es teils etwas heikel. Aber alle sind in der Zeit auf der Hütte für heute Abend. Die liegt beeindruckend isoliert auf einem kleinen Gipfel. Es gibt lecker Kuchen, Pommes und Grillwürschtl für gerade mal 9,- (sofern man im Alpenverein ist), kühle Getränke, heiße Duschen… zum Abendessen sind alle wieder in Form. Die Chefin und ich gönnen uns einen Rotwein, die Kinder vergnügen sich mit Spielen, die ich nicht verstehe. Aber Spaß haben sie. Wäre das Wetter besser: eigentlich ein perfekter Tag. Aber es wäre naiv zu glauben, dass es in 14 Tagen immer trocken bleibt. Bergsteiger sind bekanntlich von naivem Optimismus geprägt, von daher: nasser geht immer…
Tag 6 - 10.08.2023 Trauneralm
Heute ist der Blick aus dem Fenster wieder eher ernüchternd. Wolken, es regnet, Nebel… können diese Wetter Apps irgendwas, außer Lügen zu verbreiten? Aber nachdem mich die vorzügliche Wirtin mit frischem Salbei Tee versorgt hat, das erste Toast geschmiert und der erste Bottich Müsli auf dem Tisch steht, klart es auf und man sieht blauen Himmel. Und die Sonne kommt durch. Das macht schon etwas bessere Laune (obwohl die so wirklich schlecht ja nicht ist, ganz im Gegenteil…). Nach dem Frühstück werden die nassen Sachen von gestern in den Rucksack gestopft. Ich hänge meine triefende Mütze und das Shirt außen an den Rucksack, mit dem Effekt, dass das Wasser in meine Hose tropft. Egal. Die Sonne wird schon helfen. Dann gehts runter. Einfacher Weg durch den Bergwald und irgendwann ist Bachwinkl erreicht und Saalfelden ist nicht mehr weit. Mittlerweile sind alle auch wieder halbwegs trocken. Erstaunlich dieses moderne Zeugs zum Anziehen! Soll mal einer sagen, wir Chemiker hätten keine Ahnung, wie man was komfortabel macht…
In Saalfelden muss ein Teilnehmer leider erkrankt abbrechen. Das miese Wetter fordert seinen Tribut. Wenns aber nicht mehr geht, gehört man ins Bett. Trotzdem sehr schade!
Der Rest kauft im Supermarkt ein. Ich besorge mir ein weiteres Shirt, alle guten Dinge sind drei. Ein paar Freizeitgourmets gehen zu einem amerikanischen Burgerbräter und essen vermutlich das erste Mal seit Berchtesgaden vernünftig. Alles eine Frage der Perspektive! Dann gehts mit dem Bus nach Zell am See und nach kurzem Aufenthalt weiter nach Ferleiten. Natürlich halten wir am Wasserspielplatz, wo mein sehr zuverlässiger Co Chef sehr zum Amüsement meiner sehr zuverlässigen Co Chefin erneut gleich ein Vollbad im Teich nimmt. Seltsamer Fetisch, aber Toleranz ist ja ein hohes Gut. Und ich habe wieder vergessen, den Schülern (Schülerinnen machen das von sich aus!) den Befehl zu geben, sich die gerade wieder trockenen Wanderschuhe auszuziehen.
Ich wandere lieber weiter zur Trauneralm. Dort ist es ziemlich voll, trotzdem urig, originell und wie immer gemütlich. Es gibt lecker Abendessen, man sitzt noch zusammen und ab 22:00 Uhr gehts in die Federn. Morgen wird es in der Tat anstrengend!
Tag 7 - 11.08.2023 Glocknerhaus
Morgens teilen wir uns. Ich fahre mit drei Wandersleuten mit dem Taxi um die Pfandlscharte herum zum Glocknerhaus. Die anderen wandern über die Untere Pfandlscharte rüber zum Glocknerhaus. Da diese Etappe sehr anstrengend ist, ist ein etwas „chilliger“ Tag sinnvoll. Die Fahrt mit Henriettes Taxis ist amüsant und lehrreich. Ich kenne jetzt jeden Berg, jeden Gipfel, jede Kehre, jedes Haus und zwei Mointainbiker beim Vornamen. Was die fidele Dame alles wusste… ein kleiner Trost für die verpasste Etappe. Mich trifft das nicht so. Ich bin schon sechsmal oben gewesen und habe jedes Foto geschossen. Die anderen drei verpassen ziemlich was, aber wie immer gilt: Gesundheit geht vor.
Die anderen steigen von der Trauneralm über die Almwiesen auf steilem Pfad an Wasserfällen vorbei zur Scharte auf. Was für ein Ausblick! Zurück aufs Steinerne Meer hinunter ins Käfertal. Auf der anderen Seite thront der Großglockner. Aufpassen muss man, wenn es über das steile Schneefeld geht. Auf der anderen Seite gehts dann wieder steil herunter, vorbei an Seen und wieder hinauf. Kurz vor dem Abstieg können es einige nicht lassen, in den kleinen See zu springen. So spart man sich die teuren Duschmarken.
Am Glocknerhaus angekommen, gibts lecker Essen. Von Suppen über Burger zum Schnitzel steht alles auf der Karte und das durchaus zu annehmbaren Preisen. Der Abend ist dann wieder geprägt vom Werwolf und seiner Wanderhure, die der Hexe verliebte Blicke zuwirft… oder so ähnlich. Morgen gehts in die Schobergruppe und damit endgültig in die Wildnis der Ostalpen.
Tag 8 - 12.08.2023: Glorer Hütte
Kaiserwetter! Blauer Himmel und angenehme Temperaturen erwarten uns für die heutige Etappe zur Glorer Hütte via Stockerscharte und Mittagspause auf der schönen Salmhütte.
Leider muss uns eine weitere Schülerin krankheitsbedingt verlassen. Aber ein Weitergehen macht so kein Sinn. Die Gesundheit geht vor.
Wir brechen gegen 09:00 Uhr auf. Es geht zunächst runter zur Staumauer des Mageritzenstausees und dann steil ansteigend in den Hang zur Scharte auf 2505 m hoch. Die Aussicht auf den Glockner, die Pasterze und die umliegenden 3000er ist atemberaubend. Man merkt, dass unsere Wanderer mittlerweile gut eingelaufen sind. Es geht zügig aufwärts und nach knapp zwei Stunden ist die Scharte erreicht. Wieder sieht man, wie weit der Gletscher seit unserer letzten Tour weiter weggeschmolzen ist. In der Tat, was das Klima angeht, steuern wir auf einen Totalschaden zu, sollte sich das Menschengeschlecht nicht bald eines Besseren besinnen und handeln.
Wir wandern nach einer Pause weiter über den Wiener Höhenweg am Steilhang entlang, inkl. Tiefblick ins Leitertal. An der Salmhütte wird gegessen und getrunken. Kathi und ich freuen uns, die Hüttenwirte Helga und Martin wiederzusehen. Wie schon gesagt: Rituale wollen gepflegt werden. Der Rest des Weges ist schnell abgelaufen. Ein paar Unempfindliche hopsen noch fix in den Bergsee am
Wegesrand. Erfrischend! Auf der Glorer Hütte angekommen empfängt uns mit Carsten Stahl ein neuer Hüttenwirt. Es gibt lecker Essen und kühle Getränke und beste Gastfreundschaft und ein supergutes Team auf der Hütte. Sehr freundlich, dass Carsten uns zum Einen die Getränke spendiert und mich zum Anderen am Debakel des VfL Bochum im Pokalspiel gegen Bielefeld in der Hüttenküche teilhaben lässt. Vielleicht hängt ja das eine mit dem anderen zusammen. Egal! Wir freuen uns sehr über diese wirklich nette Geste!
Danach wird wieder Werwolf gespielt, diesmal wird Mara angeklagt, weil sie geblinzelt hat?? Rätsel auf 2630 Metern… morgen jedenfalls gehts zu Herbert und Lucas, der mittlerweile seinen Vater als Chef auf der Elberfelder Hütte abgelöst hat. Auch der Besuch dort hat was mit Ritualen zu tun und wir bleiben wieder zwei Tage!
Tag 9 - 13.08.2023: Elberfelder Hütte
Um 8 Uhr sind alle bereit zum Abmarsch. Es geht weiter über den Wiener Höhenweg, den wir diesmal dem Eselsteig vorziehen. Eine Stunde weniger Wegstrecke ist bei dem heutigen Pensum durchaus angenehm. Zunächst gehts über das große Blockfeld, auf dem man sich sehr konzentrieren muss. Aber das haben wir fix und unbeschadet hinter uns. Zudem ist die Aussicht prächtig! Am Perlschlachtörl auf knapp 2300 m treffen wir die anderen wieder. Kathi geht mit Caro, Mara, Ida und Alex über das Böse Weibl. 3126 m ist das Weib hoch. Vermutlich wollen die Männer deswegen nicht rauf. Männer haben ja immer Angst vorm Scheitern, denn es könnte ja jemand lachen, sollte man mit seinen Kräften schneller am Ende sein, als ich. Eine fragwürdige Einrichtung der Natur. Offensichtlich… Dafür eine echte Mädelpowergipfelwandertruppe! Die Frauen haben in diesem Durchgang sowieso die nötige Power. Ich gehe mit Mark und Emma mit dem Rest weiter über die Kesselkeesscharte. Mit 2960 m ist das der höchste Übergang dieser Tour, lässt man die Gipfel links liegen. Der Weg rauf ist durchaus anspruchsvoll, uneben und teils ausgesetzt. Aber geht man langsam und aufmerksam, ist auch dieser Steig gut machbar. Alle kommen in der Zeit oben am Biwak an. Emmas „Team Leistung“ ist da schon kurz vor der Hütte. Danach gehts steil hinunter. Die Elberfelder Hütte ist ab hier immer im Blick. Unten im Gletscherkar lassen wir die Kinder laufen. Der Weg ist gut erkennbar, sodass das vertretbar ist. Mark und ich trotten langsam hinterher, führen hochphilosophische Gespräche, wie man sie nur auf unebenem Untergrund führen kann und sehen irgendwann, dass die Jungs Ada abgehängt haben. Ein Intensivkurs in „Wie übe ich mich im Gebirge in Achtsamkeit gegenüber Mitwandernden, die nicht ganz so schnell sind“ ist hier dringend von Nöten! Aber wir nehmen Ada ins Schlepptau und kommen dann zur besten Kaffeezeit an der Elberfelder Hütte an, wo wir von Herbert und Lucas und ihrem Team freudig begrüßt werden. Wie immer ist es „wie nach Hause kommen“. Die von einem fabelhaften Team geführte Hütte ist einfach ein „nice place to be“, weit hinten im Gößnitztal, umgeben von mehreren Dreitausendern. Die Lager sind fix bezogen. Abends gibts reichhaltiges Essen. Es wird gespielt, gelesen, getrunken, gequasselt und vor allem haben alle im Hinterkopf, dass morgen kein Programm auf dem Programm steht. Ausschlafen, nichts tun, vielleicht ein bisschen die Gegend erkunden. Kurz: Seele baumeln lassen. Nach acht Tagen wandern mit Sonnenschein, mit erheblichen Höhenmetern, aber eben auch ergiebigen Regengüssen, kaltem Wind, Schneefeldern, Matsche, Erkältungen bei dem einen, Wanderkoller bei der anderen und Abnutzungserscheinungen beim Senior in der Teamleitung haben wir uns das verdient!
Tag 10 - 14.08.2023: Pausentag
Ausschlafen (die anderen, ich sitze bereits um 7 einsam beim Kaffee), frühstücken, Zeit totschlagen. Nach dem Frühstück entdecke ich den Liegestuhl auf der Terrasse und lese Stephen Kings „Fairy Tale“, Emma und Kathi vertiefen sich in Liebeshorrorthriller, Mark lernt bei John Grisham, was ihn als Anwalt erwarten könnte. Ggf. schreckt das ab und er wird doch noch Lehrer. Jedenfalls brauchen wir dafür weder LTE noch W-Lan. Danach suchen einige verzweifelt. Aber hier existiert das nicht. Wie fein. Zudem werde ich von einem zufällig anwesenden Fernsehteam über meine Eindrücke über die Schobergruppe interviewt. Ich komme ins Fernsehen (Servus TV im Oktober!), werde sicher entdeckt und starte eine zweite Karriere. Guter Plan! Aber bis dahin: weiter faulenzen erstmal…
Am Nachmittag begeben sich einige zum ersten Langtalsee. Das Wetter ist perfekt, um ein weiteres Mal in einen kalten Bergsee zu springen. Der Rest bleibt auf der Hütte und unterhält sich über Schwerter, irgendwelche Codes und Gimmicks… offenbar gehören einige der Jungs einer hermetisch abgeriegelten Geheimloge an, mit eigener Sprache. Ich verstehe nichts und vielleicht ist das auch gut so. Später gibts Kuchen, Kaffee, Rindssuppe und wieder Sonne, Liegestuhl und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Für die Knochen und Gelenke und sicher auch fürs Gemüt ist der Ruhetag eine echte Wohltat. Denn der morgige Tag wird es noch einmal in sich haben. Und ab Mittwoch beginnen wir dann mit dem langen Abstieg nach Lienz, der Hauptstadt Osttirols. Dann ist diese Alpenüberquerung geschafft. Heute Abend gibts aber erstmal nepalesisches Essen. Wie passend, denn die abgelegene Gegend verbreitet in der Tat so ein gewisses Himalaya Feeling.
Tag 11 - 15.08.2023: Wangenitzsee Hütte
Früh aufstehen! Nachmittags drohen Gewitter und nur der frühe Wurm kommt trocken auf der nächsten Hütte an. Ich starte als erster (und komme natürlich als letzter an). Nachdem wir uns gestern schon beim lieben Lucas (Spätschicht) verabschiedet haben, drücken wir heute den lieben Herbert (Frühschicht) und steigen hinter der Hütte ins hintere Gößnitzkar. Links und rechts türmen sich die dunklen 3000er auf. Kämen ein paar von Tolkiens Orks aus Mordor vorbei: man würde sich nicht wundern. Der Weg rauf zur Scharte ist im Vergleich zu den vorangegangenen Touren recht angenehm zu gehen. Oben angekommen, hat man einen schönen Blick in die Dolomiten. Schaut man genau hin, erkennt man in der Ferne die berühmten Drei Zinnen. Angesichts des Tagespensums brechen wir jedoch zeitig zum Abstieg auf und gehen zügig zur Lienzer Hütte runter. Dort wird kurz Mittagspause gemacht. Und ich erfahre, dass Kathi mit zwei weiteren Kranken für eine Nacht auf der Elberfelder Hütte bleibt. Irgendwie steckt der Wurm in dieser AG. Dann biegt Emma falsch ab und geht über die Kreuzscharte, statt über den Normalweg zur Wangenitzseehütte. Kann man machen, mir wird jedoch dabei etwas mulmig. Wenn das schief geht, muss ich mir Montag einen neuen Job suchen. Passend dazu kreisen wieder beim steilen Aufstieg in die Untere Seescharte Krähen über mir. Oder sind das doch Geier? Der Normalweg ist auch schon fordernd genug. Und als ich endlich auf der Hütte eintrudele und nur Mark und vier Jungs da sind, bekomme ich doch ein bisschen Panik. Aber Emma und die anderen sind etwas müde, aber gut gelaunt vorm Gewitter auf der Hütte (und gar nicht so am Ende wie ich…). Es wendet sich eben immer alles zum Guten, wenn Engel reisen. Abends wird wieder nach dem Essen gewerwolft („Lasst uns Lennox töten“) und um 22:00 ist Bettruhe. Morgen gehts zur Winklerner Hütte, Kathi und die zwei anderen werden dorthin kommen, sodass wir noch einen schönen Abschluss im Gebirge haben werden, bevor uns am Donnerstag die Zivilisation zurück hat.
Tag 12 - 16.08.2023 Winklerner Hütte
Aufbruch um 08:30 Uhr. Ein kurzer, steiler Anstieg führt uns auf die Obere Seescharte. Der Blick tief hinunter ins Debanttal und weit in die Südtiroler Dolomiten ist atemberaubend. Viel interessanter ist jedoch der LTE Empfang. Endlich wieder sinnlose Whatsapps lesen, Instagram Profile füllen, Mama, Papa, Opa, Tante informieren, dass man gerade Internet hat… aber das ist schon OK. Ich gehe schließlich mit schlechtem Beispiel voran und beantworte ein paar der zig Dienstmails, die aufgelaufen sind. Wer weiß schon, wo das nächste Funkloch lauert. Irgendwann blase ich zum Aufbruch und gehe voran, den Wiener Höhenweg hinunter. Unten beginnen dann die Almwiesen. Dort lassen wir die Kinder laufen. Natürlich mit dem Hinweis, Selfies mit süßen Kälbern zu unterlassen. Mama Kuh ist bekanntlich nie weit. An einer Horde Pferde kommen die Kinder dann doch nicht vorbei, ohne innige Freundschaften zu schließen. Ich wusste gar nicht, dass die Tiere so zutraulich sind. Eins verfolgt mich und leckt an meinem
Rucksack herum. Alex versichert mir, dass das Pferd mich mag. Ich suche trotzdem das Weite… es geht immer weiter abwärts, irgendwann ist die Baumgrenze erreicht und die Landschaft ändert sich. Aus Pfaden werden befestigte Wege und irgendwann sind alle auf der schönen kleinen Winklerner Alm. Lecker Essen und wunderbare Gastfreundschaft prägen diese Hütte. Abends gibts neben den obligatorischen Werwölfen Schnitzel und Kartoffelsalat. Ein feiner Abschluss, denn morgen gehts hinunter nach Lienz und Freitagabend sind alle wieder in Sicherheit.
Tag 13 - 17.08. Lienz - FINAL!
Morgens ausgiebiges Frühstück. Wie immer reichlich aufgetischt von der lieben Priska und ihrem Mann Georg. Die Winklerner Hütte könnte man theoretisch auch auslassen, aber dann wären 2200 Höhenmeter Abstieg zu gehen. Und das muss ja nicht sein. Die Knie werden in den kommenden Wochen ja noch gebraucht.
Nach einem Gruppenfoto gehts dann abwärts Richtung Lienz über Iselsberg und Drölsach. Die Aussicht ist prächtig. Lienz liegt uns bereits zu Füßen. Wenn man sich nicht verirrt, ist man sogar ziemlich fix unten in Drölsach. Dort kaufen wir im Spar Dinge, die es „oben“ nicht gibt. Kalte Cola aus der Dose, Weingummi, getrocknete Mettwürste, Erdbeeren… die Zivilisation hat uns sowas von wieder. Permanent brummt irgendein Telefon. Ggf. hat sich der eine oder die andere ja doch ein bisschen vom Online sein entwöhnt.
Aber noch sind wir nicht ganz am Ziel. Es geht runter zur Drau. Dem Fluss folgen wir stromaufwärts immer geradeaus und um 13:10 Uhr ist es dann soweit: wir stehen auf dem Stadtplatz von Lienz am Brunnen und klatschen ab. Knapp 125 km und 11 Wandertage mit ziemlich vielen Höhenmetern liegen hinter uns. Alpenüberquerung geschafft! Stolz dürfen alle sein, die sich drauf eingelassen haben. Kleiner Wehrmutstropfen, dass zwei Teilnehmer*innen abbrechen mussten. Das ist gerade für die Betroffenen richtig schade. Aber das lies sich nicht verhindern. Gesund bleiben hat oberste Priorität.
Wir checken im Hotel ein. Nach ausgiebigem Duschen und Aufhübschen (ich versuche letzteres erst gar nicht…) wird Lienz erkundet. Ich brauche dringend sauberes T-Shirt und ne neue Hose. Die andere hat doch arg gelitten und gehört tief in den Rucksack. Aber hier gibts alles. Heute Abend gehen wir dann Pizza essen. Morgen geht der Zug um 8:24 Uhr und wenn alles klappt, sind wir gegen 19:15 Uhr wieder in Düsseldorf. Da warten dann am Bahnsteig sicher richtig stolze und ggf. erleichterte Eltern auf ihre „kleinen“ Bergsteiger… ;)
Tag 14 - 18.08. -Heimreise
Gestern Abend reichte es in der Gruppenkasse noch für ein gemütliches gemeinsames Abendessen in einer Pizzeria. Leider verhagelte das Wetter einen Besuch des Stadtfestes mit Live Musik, sodass der letzte Abend dann doch kürzer ausfiel. Heute morgen dann ausführliches Frühstück und dann ab zum Bahnhof und los gehts über Spittal und München nach Hause. Montag haben uns Schule und Alltag wieder fest im Griff. So schnell gehen eben zwei Wochen um, wenn man sich jeden Tag der wilden Natur der Alpen aussetzt. Und diese Natur hat uns teilweise ziemlich zugesetzt. Einmal mehr ist sie Lehrmeister in der Frage, wer die wirkliche Macht auf unserem Planeten hat. Der Mensch mag sich die Welt vermeintlich Untertan gemacht haben, am Ende bleibt er aber nicht der Sieger. Das zu lernen und zu akzeptieren, ist eben auch ein Teil unseres Projekts. Wenn die zwei Wochen so ein bisschen nachwirken, man ab und ab bewusst verzichtet, weil man in den zwei Wochen gelernt hat, dass man auch mit weniger auskommen kann, haben wir ein wichtiges Ziel erreicht. Wenn dann auch noch neue Freundschaften geschlossen werden, umso besser. Schule soll eben mehr sein, als stumpfes Abarbeiten eines Lehrplans, der sich eh mit jeder neuen Legislaturperiode verlässlich ändert. Hier kann man lernen durchzuhalten, andere Sicht auf die Dinge zu entwickeln und sich in Gelassenheit zu üben. Genau die fehlt der Welt im Augenblick, schaut man nach zwei Wochen digitaler Abstinenz in die gängigen Nachrichtenportale. Hoffen wir also, dass wir wieder ein Team für 2024 zusammenstellen können.
Herzlichen Dank sagen wir den Eltern fürs Mitschicken und Anvertrauen, der Schulleitung fürs Zutrauen und Erlauben, Benedikt Stratmann für das Pflegen des Blogs, den Sponsoren und Spendern fürs großzügige Unterstützen, Emma und Mark für die zuverlässige und professionelle Begleitung, allen Hüttenwirt*innen für große und größte Gastfreundschaft und natürlich Euch: dafür, dass Ihr Euch auf das teils sehr anspruchsvolle Unternehmen eingelassen und selbst im dicksten Regenguss die gute Laune nicht aufgegeben habt!
Es war wie immer gut!